kollektive Dummheit

Mit Dummheit, das vorab, meine ich hier nicht den Mangel an Intelligenz, sondern die eingeschränkte Fähigkeit, vorhandene Intelligenz in adäquates Handeln zu verwandeln. Der Soziologe Harald Welzer identifiziert dieses Defizit als ein „ansteckendes“ und „wiederkehrendes historisches Phänomen“, das sich etwa als Narzissmus zeigt oder in der fatalen Überzeugung, stets auf alle Fragen eine Antwort haben zu müssen. Beides nervt in derzeit fast jeder öffentlichen Debatte. Weiterlesen

„59. Biennale di Venezia“ 1

THE MILK OF DREAMS

100 Tage lang waren in diesem Jahr die beiden bedeutendsten Kunstschauen der Welt gleichzeitig zu sehen. Anfang Oktober 2022 ist die documenta fifteen in Kassel schon vorbei. Sie bot eine für den globalen Norden völlig neue Perspektive der Kunst in einer sich gravierend verändernden Welt. Da sind auf der 59. Biennale di Venezia die KunstWerke von 202 Künstlerinnen und 21 Künstlern unter dem Motto „The Milk of Dreams“ noch zu sehen. Auch solch eine Quote ist noch nie dagewesen. Nun mussten „die alten, weißen Männer, wie sie seit Dekaden die Biennale hegemonisieren […] mit megalomanen One-Man-Shows in diversen Palazzi um Aufmerksamkeit betteln“, wie das KUNSTFORUM-Heft zur Biennale genüsslich schreibt.

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„59. Biennale di Venezia“ 2

DESASTRES

Am ersten von drei Biannale-Tagen bin ich in den Giardini. Seit Anbeginn der venezianischen Kunstschauen im Jahr 1895 ist das ihr Hauptschauplatz. Angelegt wurde das Gartengelände ab 1834 im Stadtteil Santa Croce. Von meinem Quartier in Canareggio aus ist es gut mit dem Vaporetto zu erreichen. Tags zuvor mit der Eisenbahn angereist, bin ich nach einer von Mückenjagden perforierten ersten Nacht und einem akzeptablen Frühstück, das ich im Zimmer einnehmen muss, weil das kleine Hotel weder über eigene Küche noch Früstücksraum verfügt, immer noch im Modus ungeduldiger Eile. Jetzt löst der Wasserbus sie restlos auf. Weiterlesen

„59. Biennale di Venezia“ 3

WE WALKED THE EARTH

Den Hauptpreis der 59. Biennale di Venezia, den Goldenen Löwen, bekommt die britische afro-karibische Künstlerin und Pädagogin Sonia Boyce (1962) zugesprochen. Seit ihrer Geburt lebt und arbeitet sie in London, ist heute Professorin für Black Art und Design an der College-Universität der Künste. Zeichnend, druckend und audiovisuell erforscht sie „die Beziehung zwischen Klang und Erinnerung, die Dynamik des Raums und die Einbeziehung des Betrachters“. Sie ist die erste schwarze Frau, die Großbritannien auf der Biennale vertritt. Mit der Videoinstallation „Feeling her Way“ zeigt sie die Kraft der (schwarzen) Musik und, so die Jury, „eine Fülle von zum Schweigen gebrachter Geschichten“. Weiterlesen