kollektive Dummheit

Mit Dummheit, das vorab, meine ich hier nicht den Mangel an Intelligenz, sondern die eingeschränkte Fähigkeit, vorhandene Intelligenz in adäquates Handeln zu verwandeln. Der Soziologe Harald Welzer identifiziert dieses Defizit als ein „ansteckendes“ und „wiederkehrendes historisches Phänomen“, das sich etwa als Narzissmus zeigt oder in der fatalen Überzeugung, stets auf alle Fragen eine Antwort haben zu müssen. Beides nervt in derzeit fast jeder öffentlichen Debatte.

Erklärt sich daraus der Widerspruch, wieso klugen und kreativen Menschen kein nachhaltiges Leben gelingt und wir einfach nicht in die Lage kommen, als Spezies zu leben, ohne eigenhändig unsere Lebensgrundlagen zu beschädigen? Das schaffen wir wohl erst, wenn wir kollektive Dummheit vermeiden und gemeinsam nach zukunftstauglichen Lebensweisen suchen.

Nicht dass das viele nicht schon eingesehen hätten, doch haben sie den Ernst der Lage  erfasst, gelingt es ihnen bisher nicht, Denkschleifen in den Kategorien Wirtschaftswachstum, Optimierung und Effizienz zu verlassen. In solchen kommt man eventuell aus Krisen heraus, aus Instabilitäten in grundsätzlich funktionierenden Systemen also. Spätestens mit dem Klimawandel ziehen aber Katastrophen herauf, die mit Krisenmanagement nicht zu bewältigen sind, nicht mit gutem Willen und Gebeten, nicht mit internationalen Abkommen und dem globalen Verschieben von Menschen und Verantwortung. Weder mit Technologie noch mit KI werden wir die Erderwärmung und ihre Folgen abwenden, ebenso wenig mit dem trotzköpfigen Hochhalten unserer persönlichen Ideale.

Das wirft Fragen auf. Blockiert unser Großhirn die notwendige Gemeinsamkeit? Können oder wollen wir kein ‚wir‘? Oder liegt es daran, dass wir veränderte Lebensweisen nur noch nicht ernsthaft genug erwogen haben? Wie kommen wir aus dem Optimierungs- und Effizienzmodus heraus? Wie gelingt uns ein anderes Denken, zum Beispiel das gründliche Nachdenken über Endlichkeit: von Ressourcen, von Strategien, von Erfolgen und, allem voran, des eigenen Lebens.

Verlassen wir unsere maßgefertigten Hängematten und Hamsterräder. Lernen wir ein weiter als bisher und über uns hinaus Denken. Verlassen wir das Jahrtausende lang gepflegte Narrativ vom Existenzkampf gegen eine vermeintlich feindliche Umwelt, der sich inzwischen, mehr und mehr, als Kampf gegen uns selbst entpuppt. Versuchen wir, statt zu konkurrieren und sich einander zu erwehren, sinnvoll miteinander umzugehen. Versuchen wir, das eigene Denken mit anderem zu verknüpfen und gemeinsame Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie anders könnten wir es sonst aus der dunklen Knochenhöhle, in der es mittlerweile acht Milliarden Mal nistet, lösen und zum Gemeingut machen?

Auch wenn wir mit 200 Jahren sogenannter Aufklärung und einer Wachstumsökonomie im Gepäck viel lieber das Risiko eingehen, im Kampf um Ressourcen zu scheitern, sind wir mit der Alternative, es einmal mit Zusammenhalt zu versuchen, vielleicht gar nicht so überfordert, wie wir denken. Mut und Mühe sind im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder aufgeflackert und haben in extremen Notlagen AusWege gebahnt.

Kluge Leute Jahren entdecken und verbreiten eine Reihe durchaus realistischer Möglichkeiten, mit den gravierenden globalen Veränderungen aussichtsreich umzugehen. Beispielsweise Jean Ziegler, Andrea Wulf, Philipp Blom, Philipp Sterzer, Josef Martin Gassner, Richard David Precht zur „Künstlichen Intelligenz“, das indonesische Künstler:innenkollektiv ruangrupa oder eben Harald Welzer. Wieso aber fast wirkungslos?

Weil wir uns nicht angesprochen fühlen? Oder weil uns die Möglichkeiten schon ausreichen. Denken wir, sie wären ewig da? Denken wir, mit ihnen könnten wir am Ende doch noch bleiben, wie und wo wir sind? Vielleicht machen es sich auch die klugen Leute zu einfach, wenn sie denken, mit ihren klugen Gedanken hätten sie bereits genug getan. Warum tun sie nicht den nächsten Schritt und bilden Rhizome, aus denen heraus tatkräftige Gemeinschaften die Strukturen deaktivieren, in denen die kollektive Dummheit grassiert.

„In meiner Arroganz und intellektuellen Überhebung kann ich doch nicht meine Sehnsüchte liegenlassen, sondern muss sie selber adressieren und nicht den Trumps dieser Welt überlassen“, bemerkt Harald Welzer, ein bemerkenswerter Zusatz, mit dem er signalisiert, dass verbale Interventionen und Vortragsreisen noch nicht die nötigen Impulse geben. Der große Gedanke von Albert Einstein, dass sich Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen lassen, durch die sie entstanden sind, ist eine notwendige Bedingung. Hinreichend, dass eine neue Denkweise wirksam wird, sich als nachhaltige Veränderung auswirkt, werden erst veränderte und ganz gewiss nicht sehr bequeme Lebensweisen sein, beginnend mit der eigenen. Die gute Nachricht dazu: Homo sapiens ist ein Gewohnheitstier und wird es bleiben.

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