„57. Biennale Venedig“ 3

Die Beschreibungen nationaler Präsentationen sind nicht wertend gemeint. Sie sollen das Spektrum zeigen und die vielfache Nähe der Arbeiten zu aktuellen Ereignissen und Befindlichkeiten, die auf bevorstehende Veränderungen in der Gesellschaft aber auch des Individuums deuten. Nichts wird bleiben wie es ist und das Absehbare gibt Anlass zu großer Achtsamkeit und Sensibilität. Ich habe den Eindruck, dass das weltweit erkannt und kaum noch verdrängt oder überspielt wird, sondern ein hauptsächliches Anliegen dieser Schau ist. Sie kommt meiner Idee nahe, in der Vielfalt Ähnlichkeiten zu finden, sie in realen oder virtuellen Räumen, auf ‚Plateaus‘,  zu versammeln, von da aus (global) miteinander zu kommunizieren und (global) verträglich zu handeln, im Gegensatz zu hierarchisch strukturierten Systemen, wo Macht dominiert und mit einer Herrschaftskultur (globale) Dominanz absichern will. Weiterlesen

„57. Biennale Venedig“ 4

Etwas ganz anderes gelingt Anne Imhof. Im Berliner Hamburger Bahnhof, heute ein Museum für Gegenwart, habe ich vor einem Jahr einen Teil ihrer multimedialen Performance „Angst II“ erlebt. Mutig hatte sie dort, mit dem Kunstpreis der Nationalgalerie im Rücken, eine zuvor in Basel inszenierte ‚Oper‘ fortgesetzt. Mit Tänzern und Tieren, mit Schall und Rauch hatte sie den mächtigen Raum vermessen und mit Bedeutung gefüllt, mit jungen schönen androgynen Menschen, die sich darin in einer Mischung aus Choreographie und Improvisation bewegten. Es war faszinierend, nur Angst hatte ich in keinem Moment.Venedig, Biennale 2017 Weiterlesen

„documenta 14“ 2

Eine andere Komposition, die sich absichtsvoll musikalischer Begrifflichkeit bedient, ist die Performance „Social Dissonance“ des Spaniers Mattin in der documenta-Halle. Könnte das Ausüben von „Noise und Improvisation“ dazu beitragen, das Ausmaß des Zur-Ware-Werdens und der Vermarktung (menschlicher Arbeitskraft) besser zu verstehen und gar aufzuhalten? Können wir Noise (Lärm, Geräusch, Krach, Rauschen, Störung, Klatsch, Heroin, Rumor) nutzen, „um althergebrachte Beziehungen zwischen Publikum und Performer:in zu überwinden?“ Das soll das Publikum in seinem 163 Tage dauernden ‚Konzert‘ an sich selbst erproben. Weiterlesen

„documenta 14“ 1

In fortwährender Beschleunigung sind fünf Jahre eine lange Zeit. 2012 eröffnete ich meinen Blog mit zwei Gängen durch Gebäude und Gelände der dOCUMENTA (13). Der Besuch der documenta 14 ist eine Gelegenheit, diesen Zeitraum zu verklammern und in eine Frist umzuwandeln, in der ich, zunehmend bewusster, LebensZeichen aussende zurück- und vorausblicke. Geblieben ist die Neugier auf die Welt und die Neugier auf die Kunst weltweit. Wie reagieren kreative Menschen auf die Eigenart der Gattung, sich selbst immer konsequenter in Frage zu stellen? Wie lösen sie Maß und Anmaßung in ihren Lebensweisen auf? Weiterlesen

Finistère

Sechshundert Kilometer oder sechs Autostunden von Paris entfernt ist der westlichste Ort Frankreichs, die schroffe Klippe Pointe du Raz auf dem Cap Sizun, auf dem der Wind mit den Menschen spielt. Machte er Ernst, hielte sich hier niemand auf den Beinen. Diese äußerste Klippe wiederum liegt im Département Finistère, dem von den Franzosen willig in ihre Sprache übernommenen ‚finis terrae‘ der Römer, für die diese Gegend nachvollziehbar das ‚Ende der Erde‘ war. Das wussten die selbstbewussten Bretonen besser, die ihre Heimat ‚Penn ar Bed‘ nannten, was soviel wie ‚Anfang‘ oder ‚Spitze‘ oder ‚Haupt der Welt‘ bedeutet. Weiterlesen