Ubuntu

Aus den Sprachen der einst in Zentralafrika beheimateten Zulu und Xhosa, der Wiege der modernen Menschheit, kommt das Wort ‚Ubuntu‘. Am Ende der Apartheid in Südafrika aufgegriffen, bedeutet es soviel wie ‚unsichtbarer Zusammenhalt‘. Demnach ist  jeder Mensch Teil eines Ganzen, jeder Ausgeschlossene aber beschädigt dieses Ganze im Kern. Ebenso ist ‚Ubuntu‘ der Begriff für wechselseitigen Respekt und für eine friedfertige Gemeinschaft, in der individuelles Handeln erst dann wertvoll ist, wenn es diese Merkmale aufweist.

Ich halte es für angebracht, mit diesem Begriff auf ein Weltbild zu schauen, in dem die eigene Willkür als die größtmögliche persönliche Freiheit gilt, ein brauchbares, notwendiges Handeln aber kaum noch gelingt. Da ich niemandem schlechte Absichten unterstellen kann, deutet alles auf ein systemisches Versagen hin. Mit den selbst geschaffenen Strukturen verhindern wir eine Gemeinsamkeit, die auf Respekt vor der Welt und voreinander beruht.

„Die Menschheit erlebt im Moment eine historische Wende, die wir an den Fortschritten ablesen können, die auf verschiedenen Gebieten gemacht werden“, heißt es in der im November 2013 von Papst Franziskus veröffentlichten Schrift „Evangelii Gaudium“ („Freunde des Evangeliums“) und: „Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass der größte Teil der Männer und Frauen unserer Zeit in täglicher Unsicherheit lebt, mit unheilvollen Konsequenzen.
Häufig erlischt die Lebensfreude, nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt immer klarer zutage. […] Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung.“

Wir schlafen auch nicht allzu unruhig, weil weltweit über 900 Millionen Menschen – das ist  etwa jeder Siebte – nicht genug zu Essen hat und die Zahl steigt, obwohl ausreichend Nahrungsmittel vorhanden sind.

„Um einen Lebensstil vertreten zu können, der die anderen ausschließt, oder um sich für dieses egoistische Ideal begeistern zu können, hat sich eine Globalisierung der Gleichgültigkeit entwickelt. […] Die Kultur des Wohlstands betäubt uns, und wir verlieren die Ruhe, wenn der Markt etwas anbietet, was wir noch nicht gekauft haben, während alle diese wegen fehlender Möglichkeiten unterdrückten Leben uns wie ein bloßes Schauspiel erscheinen, das uns in keiner Weise erschüttert.
Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. Die weltweite Krise macht vor allem den schweren Mangel an einer anthropologischen Orientierung deutlich – ein Mangel, der den Menschen auf nur eines seiner Bedürfnisse reduziert: auf den Konsum.
Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen.“

Soweit der Papst vor 10 Jahren. Ich vermute, er hat gekannt, was der südafrikanische anglikanische Geistliche und Menschenrechtsaktivisten Desmond Tutu schon zuvor über ‚Ubuntu‘ gesagt hat: „Jemand, der Ubuntu ist, ist offen und für die anderen da, widmet sich ihnen voll und ganz, fühlt sich nicht bedroht, weil die anderen fähig und gut sind, weil er oder sie ein eigenes Selbstwertgefühl besitzt, das aus der Erkenntnis kommt, Teil von etwas Größerem zu sein oder sich abgewertet fühlt, wenn andere abgewertet oder gedemütigt werden, wenn andere gefoltert oder unterdrückt werden.“

Der senegalesische Philosoph Souleymane Bachir Diagne (geb. 1955) unterscheidet zwei Formen von ‚Ubuntu‘. Die erste besteht darin, „die Mauern zu zerstören, die die Menschen von ihrer eigenen Menschlichkeit trennen.“ Die zweite besteht darin, unsere Verantwortung gegenüber der Natur auszuloten, nicht in der Masse abzutauchen, sondern sich verantwortlich zu fühlen und mit Verstand – also verständnisvoll – zu handeln.

Beim Begräbnis von Nelson Mandela im Dezember 2013, sagte Barack Obama: „Vor allem kannte Mandela die Bindungskraft der menschlichen Seele. […] Er hatte nicht nur Ubuntu verinnerlicht, er lehrte Millionen Menschen diese Wahrheit in sich selbst zu finden. Wir erinnern uns, als er seine Gefängniswärter als Ehrengäste zu seiner Amtseinführung einlud. Ein Mann wie er war nötig, um nicht nur den Gefangenen, sondern auch den Gefängniswärter zu befreien. Um zu zeigen, dass man anderen vertrauen muss, damit sie einem vertrauen können. […] Er hat nicht nur Gesetze verändert, sondern auch Herzen.“

Wen oder was verändern wir? Wem vertraue ich? Mir? Oder nicht und warte lieber? Auf wen oder was?

Ein Gedanke zu „Ubuntu

  1. Nun ja, es ist so, wie beschrieben und war so, wie beschrieben. Die Frage ist, wie kann man hier etwas verändern? Zweite Frage; wer ist bereit dafür sich zu engagieren etwas zu ändern? Dritte Frage; welche Zielfunktion sollen wir anstreben? Mein Kummer ist, dass die kulturelle Elite, die technische Elite und die wirtschaftliche Elite scheinbar in absoluter Passivität verharren und jeden Blödsinn des Mainstream mitmachen. Welch ungeheures Potential liegt hier brach. Den Vordenkern und Philosophen gelingt es nicht, (sofern sie selbst es überhaupt für sich begriffen haben), die "Massen" zu erreichen, geschweige denn sie zu mobilisieren. Der interessante Aspekt von Papst Franziscus ist ja, dass hier eine (bisher total konservative) Organisation dazu aufruft bei jedem Einzelnen das Denken zu verändern. Aber man ist wenig geneigt, dem eine Aussicht auf Erfolg zu geben, da die Gegenspieler zu mächtig, zu gierig, zu gewissenlos und amoralisch sind. Am Anfang des neuen Jahres hoffen wir vielleicht, dass man die Aufrufe des heiligen Stuhls aus Rom hört und jeder bei sich selbst beginnt sein Denken und Handeln zu verändern. Die Reaktion der Politiker, der Bischöfe, Kardinäle und der Medien läßt allerdings jetzt schon erahnen, dass in Zukunft vielleicht Mister Putin der unwichtigere Gegner sein wird, weil ein weitaus gefährlicherer Papst Franziskus die Kreise der Tänzer um das Goldene Kalb stört. Was immer jeder Einzelne auch glaubt oder denkt, man möchte alle aufrufen diesen "heiligen Mann" in seinem Wirken zu schützen und zu unterstützen.

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