Fakten und Fiktionen

Wünscht sich ein Wolf, dass ihm ein Zickenlamm ins Maul spaziert? Wünscht er sich eins zu treffen, wenn er auf der Jagd ist? Weiß er, dass er es oder etwas anderes Jagbares braucht, um am Leben zu bleiben? Das hört sich sonderbar an, aber ebenso sonderbar ist doch, sich ihn als bloß (An)Getriebenen oder (Aus)Gelieferten vorzustellen und gleichzeitig uns als die weltweit einzige Spezies, die sich etwas wünschen und Ziele haben kann.

Wäre es aber ein Alleinstellungsmerkmal, stünden wir auch tatsächlich allein da, mitten in dem in Jahrmilliarden immer wieder von der Natur ausbalancierten irdischen Lebensraum. Plötzlich hätten wir eine Verantwortung für ihn und seinen Erhalt. Mit ‚Ernst der Lage‘ ist dürftig beschrieben, was das bedeutet. Manchmal sieht es so aus, als würden wir ihn erkennen, aber dann bewegen und benehmen wir uns wieder, als könnten die guten Geister, die wir uns einbilden, gar nicht verlassen. Ist das eine normal oder das andere? Ich denke, die guten Geister sind eine Fiktion.

„Die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien. Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden.“ So steht es im Buch „Earth for All“, dem 2022 erschienenen neuen Bericht an den Club of Rome. „Die Grenzen des Wachstums“, der erste Bericht des Club of Rome Lage der Menschheit, erschien genau vor 50 Jahren.  Seitdem kann niemand überrascht von alldem sein, was (uns) geschieht und wissen, was wir erwarten können oder nicht, je nachdem, wie wir leben.

Wir können es auch viel einfacher haben. Wir können sofort Kriege führen, die, wenn wir nur konsequent die dafür geschaffenen Waffen einsetzen, (atom)schlagartig alle Sorgen, die wir uns gerade um uns und um unsere Kinder und Kindeskinder machen, in kürzester Zeit auflösen. Inkonsequenz ist allerdings auch ein Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig vergrößern wir – und zwar sytem@tisch – die Wahrscheinlichkeit, dass unser Leben diese Wendung nimmt. Das ist ein Fakt.

Noch fataler ist es allerdings, das als Schicksal anzunehmen. Wer sind wir denn? Wer glauben wir denn sein zu können? Natur führt uns ständig vor Augen, dass die Zukunft offen ist, auch unsere. Nur wenn sie vorherbestimmt wäre, dürften wir tun und lassen, was wir wollen. Kriege wollen wir nicht mehr, auch das ist ein Fakt.

„Leben und leben lassen“ ist für die Wohlständler im globalen Nordens bis heute ein angenehmes Lebensmotto. Im 18. Jahrhundert kam es auf, übernommen vermutlich vom französischen „laissez faire – laissez passer“ („lasst machen – lasst gehen“). Das war wirtschaftspolitisch gemeint, in dem Sinne, dass sich die freie Wirtschaft am besten ohne staatliche Eingriffe entwickeln könne. Das ist eine Fiktion, die klar wird, wenn wir die richtigen Worte verwenden: „Täuschen und (sich) täuschen lassen“.

Bemerkenswert in dem Zitat aus „Earth for All“ ist der Begriff „kollektive Unfähigkeit“. Einzelnen ist Unfähigkeit ohne Weiteres zugestanden. Woran sollten wir uns auch sonst orientieren und unser Leben ausrichten, als an eigenen Wunschvorstellungen. Sobald wir aber Gefallen an uns finden und uns individualisieren, müssen wir achtgeben, dass unser Ego sowohl für die Gemeinschaft, als auch für seinen Lebensraum (auf beide sind wir angewiesen) verträglich bleibt. Dafür sind (über Naturgesetzlichkeiten hinaus) Regeln notwendig, die wir einhalten müssen. Das tun wir gerade nicht, und das ist wiederum ein Fakt.

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