„Im Spiel muss der Rhythmus wechseln“, brachte mir in den 1980er Jahren der Intendant Günther Müller bei, mein Chef am Eisenacher Landestheater. Er sagte es als Regisseur, der er zum Glück selten war, denn als geschickter Stratege und akzeptabler Schauspieler war er klug genug, selbst zu erkennen, dass Bühnenregie sein Ding nicht war.
Aber sein Satz traf zu und nicht nur, begriff ich, für das Theaterspiel, sondern für die Systeme, in die wir eingebunden sind. Noch sinnfälliger als im Theater, ist das im Fußball. Kaum ein anderes spielerisches Geschehen bildet die gesellschaftlichen Verhältnisse so einsehbar ab. Zum Beispiel, wie immer mehr totes Kapital vorhersehbar auf der Spielfläche verkümmert, was auf die Dauer eintönig wird, langweilt oder erzürnt, wenn nämlich schon vor dem Spiel eine Mannschaft von vornherein chancenlos ist und nur noch vorgeführt wird, anstatt zu einer erbaulichen Vorführung beizutragen.
„Wir haben den Ball, und jetzt wollen wir mal sehen, ob sie es schaffen, ihn uns wieder abzunehmen. Wir spielen ihn uns so oft wie möglich gegenseitig zu, und dann schauen wir mal, ob wir ein Tor erzielen können.“ Das gab kürzlich der gefeierte Fußballtrainer Pep Guardiola von sich, der wie kein anderer in den letzten Jahren das Ballspiel mit dem Fuß weltweit beeinflusst hat. Immerhin weiß er noch, dass irgendwo Tore stehen müssen, um fallen zu können. Aber ernsthaft: Die krasse Ungleichverteilung des Kapitals ist der wichtigste Grund, dass bei Akteuren wie Zuschauern die Hoffnung schwindet. Wie im wirklichen Leben.
Objekt von Begierden, lungern die Spieler auf dem Platz und erinnern sich kaum noch, warum. Warum sie ein- und ausgewechselt werden, verletzt und zusammengeflickt, gehasst und gefeiert und für Unsummen transferiert. Totes Kapital, während das Spiel dahin und vor allem an ihnen vorbei läuft. Das ist die grandiose (Spiel)Idee der Guardiolas dieser Welt, die heute wie nur wenige aus dem Vollen schöpfen können, als gäbe es kein Morgen. Die Hälfte der Akteure soll möglichst schnell die Lust verlieren oder das Fürchten lernen oder die Flucht ergreifen. Bevor es die Zuschauer tun, weil sie begreifen, dass das alles nicht zum Vergnügen, sondern auf ihre Kosten geschieht.