die Welt von Heute

„Die Hälfte der jetzigen Treibhausgase in der Atmosphäre wurde in den letzten dreißig Jahren emittiert“. So steht es im Sachbuch „Der Fluch der Muskatnuss“ von Amitav Ghosh, ein indischer Autor, der den Untertitel „Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr“ hinzufügt und sagt: „Die wahnsinnige Beschleunigung, herbeigeführt durch die weltweite Übernahme kolonialer Methoden der Ausbeutung und Konsumption, hat die Menschheit an den Rand des Abgrunds gebracht.“

Ist die Erde schlussendlich doch eine Scheibe? Oder Ghosh ist ein Provokateur.

Der „Rand des Abgrunds“ entsteht mit dem Weltbild der antiken Menschheit, in der ihr Starautor Homer die Erde als vom Himmel überwölbt und von einem großen Wasser, dem Okeanos, umflossen, beschreibt. In einer seiner Sagen um den griechischen Halbgott Herakles, erzählt er von zwei Säulen an der Meerenge von Gibraltar, die damals das Ende der Scheibenwelt anzeigten. Der Heros habe die Säulen – eine auf europäischem, eine auf afrikanischem Boden – errichtet, um vor dem behaupteten Abgrund dahinter zu warnen.

NON PLUS ULTRA (bis hierhin und nicht weiter) steht auf einer bildlichen Darstellung aus jener Zeit. Wahrscheinlich sollte dieses geopolitische Stoppschild auch alle Neugierigen zurückhalten, die, gäbe es keinen Abgrund, auch keinen Grund mehr hätten, die Allmacht Karl V. anzuerkennen und sich ihm zu unterwerfen. Als dieser Herrscher die Existenz von Gegenden hinter dem großen Wasser akzeptieren musste, erklärte er – Genie oder Wahnsinn? – die neue Welt gleich mit zu seiner. Das NON PLUS ULTRA verkürzte er zu PLUS ULTRA (und mehr).

Unsere Angst vor Abgründen ist geblieben. Neuerdings lassen sich Physiker, Kosmologen und Philosophen von Daten erschüttern, die das 2021 ins Weltall geschossene James Webb-Teleskop zur Erde schickt. Sie bringen das seit den 1930er Jahren gängige Urknallmodell des Universums ins Wanken und nähren die Vermutung, dass wir wahrscheinlich nur ein Bruchteil von dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, erkennen können.

Wie gehen wir damit um? Gar nicht? Mein Eindruck ist, wir möchten so gern bleiben: wie und wo wir sind. Also am Abgrundrand. Also in der Welt von Gestern.

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