Welchen Eindruck das Anliegen der Kuratorin hinterlässt und wie mit ihm umgegangen wird, hängt maßgeblich vom Betrachter ab. Je nach seiner persönlichen Lage wird er das Vorgefundene wie einen vielfarbigen Coctail schlürfen, sich in einem Freiraum fühlen oder inmitten bedrohlicher Notwendigkeiten. Ich fühle mich über zwei Tage hin abwechselnd berauscht, befreit oder bedrängt.
Gleichzeitig, so ist mein Eindruck, versucht das Motto mit sehr viel subjektiver Energie Herrschaftskunst, die in nationalen Auftritten mehr oder weniger augenscheinlich dominiert, auszubalancieren. Zu erleben, wie auf wenige Kubikmeter und Momente Komprimiertes vehement oder sanft, provokant oder berechnend sein Potenzial ausspielt und die Antriebe des MenschenWesens offenlegt, ist häufiger unangenehm oder erschreckend als ein Vergnügen.
Besser geht es mir mit der parallelen Entdeckung, dass die meisten Bestandsaufnahmen sich nicht in Selbstdarstellungen erledigen oder mich auf Distanz halten wollen. So lässt sich, und das ist erstaunlich, ohne Scheinheiligkeit oder regionale Hybris ein verträglicher Nationalismus denken, der aus seiner Regionalität heraus Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zum Benachbarten ortet und versucht, sie brauchbar auszugestalten. Mindestens das aber ist vonnöten, wenn global nicht demnächst vieles aus dem Ruder laufen soll.
Wie groß oft der Innendruck ist, der ausgehalten werden muss, zeigt zum Beispiel die Ausstellung „folly“ von Phyllida Barlow im britischen Pavillon. Wuchtige Skulpturen aus Draht, Sperrholz, Schaumstoff und Textilien arrangiert sie. Beharrlich, fast behutsam füllen sie die Räume und verbinden sie. Aber auch außerhalb des Gebäudes, dicht am Mauerwerk, wecken sie vor allem Neugier.
Schrill wirkt der Eingang zum Pavillon der Republik Korea. Mit buntem aber nicht flackern-dem Neonlicht täuscht die Installation „Venetian Rhapsody“ des Konzeptkünstlers Cody Choi mit Pop und Trash Art ein Spielcasino vor, während sich innen die Doppelausstellung „Counterbalance. The Stone and the Mountain“ mit der Frage beschäftigt, wie Einzel-schicksale zur nationalen Historie beitragen. Überraschend darin eingebettet ist in einem Extraraum die Installation „Eigenzeit“ von Lee Wan mit 668 personalisierten Uhren, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit laufen, je nachdem, wieviel Zeit die ihnen zugeordneten Personen, von denen ich Alter, Beruf und Lebensland erfahre, arbeiten müssen, um eine Mahlzeit zu verdienen, ein augenscheinlicher Beweis, wie die kapitalistische Ökonomie weltweit auf Menschenleben zugreift, sie differenziert und auf- oder abwertet.
Der Österreicher Erwin Wurm hat vor seinem Pavillon einen Truck ‚auf die Nase‘ gestellt und das Transportvehicel zum Aussichtsturm umfunktioniert. Im Inneren lädt er mit „One Minute Sculptures“ per Handlungsanweisungen auf Möbelstücken und einem durchlöcher-ten Wohnwagen zu einem Hindernislauf durch einen seltsam absurden Parcours ein. Für die Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz wurde der Pavillon um einen „Light Space“ genannten Anbau erweitert, in dem Realität mit Spiegel- und Lichteffekten virtuell vervielfacht wird.
Für Neuseeland präsentiert die Multimedia-Künstlerin Lisa Reihana mit „Emissaries“ eine imperialistische Panoramatapete. Wie eingefangen sitzen oder stehen in einem vollständig verdunkelten Raum, dem letzten in der Corderie, die Besucher und sehen ein einstündiges Video, das in einer vollständigen 360-Grad-Umdrehung eine der von James Cook entdeckten Inseln zeigt, auf der sich nachgestellte Szenen aus seinen Südsee-Aufenthalten abspielen. Neugier, Erstaunen, Gehorsam, Auflehnung, Zuneigung und Gewalttätig bilden ihrerseits Inseln in einer Landschaft, die zunehmend ihre Unschuld verliert. Oder ist sie mit ihrer millionenjährigen WeltErfahrung vielleicht die Ursache für das, was in Menschengestalt nun auf ihr vor sich geht? Fast suggestiv weckt die Künstlerin diese Ahnung und hält sie in einer angespannten Balance, in der sich nichts auflöst oder ausgleicht, sondern in kaum erträglicher Langsamkeit eskaliert, hinein in ein unheimliches Dilemma.
Das tunesische Projekt „Ausweglosigkeit“ erreicht mit wenig Aufwand viel Nachdenklichkeit. An vier tristen Zollstationen werden als „Freesa“ (in Anlehnung an „Visa“) bezeichnete Reisedokumente ausgegeben. Ausschlaggebend für die Staaten, in die eingereist werden darf, ist allein das Herkunftsland des „Freesa“-Empfängers. 54 Prozent aller Flüchtlinge weltweit, verrät das Dokument, kommen aus Syrien, Somalia und Afghanistan. Der Pass mit der weltweit größten Akzeptanz ist allerdings – Ironie des Schicksals? – der deutsche, mit dem man in 176 von 218 Ländern willkommen ist. Signiert wird er mit dem Daumen-abdruck und eingestempelt wird: „Wo die Wege fehlen und nur das Menschliche bleibt, gezeichnet A-Garitta“, im Wachhäuschen.
Ein Häuschen anderer Art hat sich an den Rand des Wasserbeckens im Arsenale gestellt – bereit für einen Stapellauf? „The Play“ nennt ein japanisches Künstlerkollektiv das eigenartige Projekt oder Experiment. Es verkörpert eine Spielweise im Sinne von Verspieltheit, Aufrichtigkeit und Humor, um sich „der dumpfen Homogenität der modernen Kultur“ zu widersetzen und die Unterscheidung von Kunst und Leben abzulehnen. Erstmals im Jahr 1972 ließ die 1967 gegründete Gruppe „ein kleines Haus entlang der Flüsse Kizu und Yodo vom Mount Kasagi in Richtung Osaka Bay schweben“, eine Wohnung für einen „Rückzug von den sozialen Hierarchien und individualistischen Werten des modernen Lebens“.
In der Geografie der Biennale liegt Venezuela zwischen der Schweiz und Russland. Die Bolivarische Republik beteiligt sich mit „Formas Escapándose del Marco“ von Juan Calzadilla, Formen, die dem Rahmen entkommen. Sicherheit und Genauigkeit vermitteln die Arbeiten des Künstlers und Autors und sind metaphorische Reflektionen über die Grenzen zwischen Umgebung und Inhalt. Kalligraphische Strukturen bedecken Leinwand-bänder, die die Wände verlassen und den Raum erobern, so wie Zeichnen und Schreiben, so wie Kunst und Literatur die Wirklichkeit durchdringen.
Mit „Morgen ist ein anderer Tag“ besetzt Mark Bradfort, ein schwarzer Schwuler, den US-Pavillon. 1961 in LA in bescheidene Verhältnisse geboren, nennt er sich selbst einen liberalen und progressiven Denker, der während der Obama-Präsidentschaft das Weiße Haus besuchte, sich von der jetzigen Regierung aber nicht mehr vertreten fühlt. Als Reaktion darauf schuf er einen palladianischen Raum (der Architekt Andrea Palladio entwarf um die Mitte des 16. Jahrhunderts Paläste, Villen und Kirchen in Venedig), der sich wie eine Ruine anfühlen soll, wie ein Regierungsgebäude, in dem die Wut den Gips von den Wänden fallen lässt. Gleich im ersten Raum drängt eine von der Decke hängende unansehnliche Leinwand, deren Berührung man vermeiden möchte, den Besucher an die Wände. In der zentralen Rotunde des Pavillons transportiert mich Bradford mit der Installation „Oracle“ zurück „in die alte Grotte, zwischen Höhle und Altar, zwischen Natur und Kultur, wo Orakel tiefe Wahrheiten und Vorhersagen liefern“.
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