Ranftl

‚Ranftl‘ wurden in meiner Kindheit die Brotenden genannt. Auf sie war ich aus, soweit ich zurückdenken kann. Besonders gern mochte ich sie, wenn sie schön dick mit Schmalz bestrichen und gesalzen waren. Schmalz gewann die Großmutter aus Schmer, dem Bauchfett von Schweinen, das sie beim Fleischer kaufte und zu Hause in einer gusseisernen Pfanne ausließ. Brot wurde beim Bäcker gekauft. Als ich ungefähr Zehn war, war das häufig eine meiner Hausaufgaben. Der Brotlaib wurde zunächst geteilt und dann von der Mitte her abgeschnitten. Da war das Ranftl noch unsichtbar, doch Scheibe für Scheibe rückte es näher. War es aussichtsreich, meldete ich Bedarf an. Ich musste nicht befürchten, dass ich es nicht bekam, aber es war wie ein Ritual, das den Beteiligten gefiel.

Die Kindheit hat sich verdrückt und Dreipfundbrote sind seltener geworden, Brotenden in untergewichtigen Formaten kümmerlicher. In der DDR zahlte ich, solange es sie gab, für ein Dreipfundbrot 78 Pfennige bei einem Monatsgehalt von zuletzt 1100 DDR-Mark. Heute kosten eineinhalb Kilo Bäckermischbrot ungefähr 7 Euro, Tendenz steigend, bei 1800 Euro Altersrente. Das ist das Wachstum der Marktwirtschaft: disproportional. Nichts ist vollkommen: wissen wir doch.

‚Ranftl‘ sagt niemand mehr. Brotenden heißen jetzt ‚Kanten‘ oder ‚Krusten‘. Früher haben sie geduftet und, wie das ganze Brot, gut geschmeckt. Heute kommt, wie manches Lebenswerte, auch der Brotgeschmack abhanden. Liegt das an ihm oder an mir? Und wie steht es mit der Biss- und Schmecklust der mutmaßlich ‚letzten‘ Generation?

Als ich Zwölf oder Dreizehn war, stürmte ich häufig, durstig wie die Wüste, in die Wohnung, in die Küche und hängte mich gierig an den messingblanken Wasserhahn, um aus den hohlen Hände zu trinken, zu saufen, bis mir die köstliche Wasserkälte Schmerzen in den Kopf stach. War der Durst gestillt, kam der Hunger. War auf wunderbare Weise dann ein Ranftl schon verzehrbereit, war das ein Glücksmoment, den ich bis heute spüre.

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