So lange schon begeistert mich der Impressionismus in der Malerei, aber warum entdecke ich erst jetzt die hochbegabte, blitzgescheite Berthe Morisot in diesem Kosmos? Weil ich auch dorthin – wie auf viele und vieles andere – zu lange oberflächlich blickte. Doch gerade ihretwegen war die in den 1860er Jahren entstandene … Stilrichtung … in der bildenden Kunst von Anbeginn kein Männerclub. Mit Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir, Edgar Degas, Édouard Manet und anderen war Berthe Morisot sozusagen Gründungsmitglied. „Fünf oder sechs Verrückte – unter ihnen eine Frau – eine Gruppe unglücklicher Geschöpfe“, schreibt ein sarkastischer Kritiker 1876 in einer Rezension.
Die Punkte um das Wort ‚Stilrichtung‘ herum zeigen mein Zögern bei der Verwendung des Begriffs. ‚Weltbild‘ wäre vielleicht der bessere. Die Möglichkeit, Ölfarben industriell in verschließbaren Bleituben herstellen und mit der Erfindung der Fotografie den Augenblick und seine Zufälligkeit abbilden zu können, muss damals der Freiluftmalerei einen ganz neuen Blick in die Welt erschlossen und en passant bis dahin Fundiertes in Frage gestellt haben. Mit Licht und Farbe, mit unverschämter Unschärfe und atemberaubender Leichtigkeit gerieten jahrhundertelange Sehens- und Zeigensweisen ins Wanken.
Der Salon de Paris, eine bereits 1667 von Ludwig dem XIV. initiierte Kunstausstellung, um offiziellen Kunstgeschmack zu propagieren, avancierte in den 1860er und 1870er Jahren für den neuen Weltblick der Flüchtigkeits- und Lichtverliebten zum Austragungsort für einen leidenschaftlich ausgelebten Affront mit dem französischen Kunstbetrieb – eine mindestens auf deren Seite außerordentlich kreative Konfrontation.
Berthe Morisot entstammte einer wohlhabenden Familie und erhielt Privatunterricht im Malen und Zeichnen. In den 1860er Jahren eine Schülerin von Camille Corot, lehnte sie dessen akademischen, konventionellen Malstil allerdings ab. Über eine enge Freundschaft mit dem Maler Édouard Manet fand sie Zugang zu einer Malweise, die ihr weit mehr behagte. Der anfängliche Spott im Wort „impressionistisch“ stachelte ihr Selbstbewusstsein nur an. Hinterhältiges Getuschel, dass weniger ihr Talent als ihr Geld, mit dem sie die Gleichgesinnten unterstützte, ihre Dauereintrittskarte im Club der Impressionisten sicherte, empörte sie.
„Ich glaube nicht, dass es jemals einen Mann gegeben hat, der eine Frau als absolut gleichgestellt behandelt hat. Das war alles, was ich immer verlangt habe, denn ich weiß, ich bin genauso gut wie die Männer.“
Für den Pariser Salon 1870 reicht sie zwei Gemälde ein. Der Hafen von Lorient Das Hafenbild gilt heute als ein Höhepunkt in ihrem frühen Schaffen. Die verblüffende Tiefenwirkung erzielt sie „mit dynamisch strukturierten Oberflächen, die den Pinselstrich zeigen und durch das Nebeneinandersetzen gesättigter Farben“, schreibt Morisots Biografin Anne Higonnet.
Das Doppelporträt von Mutter und Schwester wurde begonnen, als die verheiratete Edma im Winter 1869/70 bei ihrer Familie blieb, um die Geburt ihres ersten Kindes zu erwarten. In der intimen häuslichen Szene verhüllt die Malerin die Schwangerschaft der Schwester diskret mit deren weißem Morgenmantel. Bevor sie das Bild an den Salon schickt, möchte sie hören, was Édouard Manet dazu meint. Natürlich erwartet sie Zuspruch oder einen guten Rat von dem Freund, dem sie künstlerisch völlig vertraut, doch der hat erstaunlich viel auszusetzen.
Anstatt ihr Vorschläge zu machen, übermalt er Morisots Mutter gleich eigenhändig. „Einmal dabei, war er nicht mehr aufzuhalten“, schreibt sich die längst reife Künstlerin ihre Verletztheit von der Seele. „Nach dem Kleid nahm er sich den Busen vor, nach dem Busen den Kopf und schließlich auch den Hintergrund. Er riss einen Witz nach dem anderen, lachte wie ein Irrer, reichte mir die Palette, nahm sie mir wieder ab. Um fünf Uhr nachmittags hatten wir die beste Karikatur geschaffen, die es je zu sehen gab.“
Ihre Hoffnung, die Jury würde das Bild ablehnen, erfüllte sich nicht. Beide Bilder wurden im Salon gezeigt. Was für eine Schmach für die 29Jährige. Manets Bruder Eugène heiratet sie dennoch. Oder deswegen. Wohl wissend, wie heikel und selbstzerstörerisch es für eine Frau war, gesellschaftliche Konventionen zu ignorieren und was erforderlich war, um im Wesentlichen bei sich bleiben zu können? In ihrer Malerei, die sie jedenfalls vortrefflich schützte.
Wie gewisse Inseln in der Ungewissheit fangen mich die Kunstwerke der Morisot ein. Wie wunderbare Farbgedichte fokussieren sie Mut und Mühe, dass die Flüchtigkeit verfliegt: Weil sie an mir haftet und mich mit sich nimmt, wenn meine Augenblicke in ihre Bilder gehen.