Zeitenbleibe

„Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“ Das hat der österreichische Dichters und Essayist Erich Fried (1921-1988) geschrieben. Veränderungen sind Resultate von Wechselwirkungen, ohne die es Raum und Zeit, ohne die es das Universum, ohne die es uns gar nicht gäbe.

Der für umfangreiche Veränderungen heute gern in den Mund genommene Begriff ‚Zeitenwende‘ soll den Beginn einer neuen Ära signalisieren. Politiker brechen ihn auf die Geschichte der Menschheit herunter, häufig meist mit dem eingeengten Blick auf das Land, für das sie Verantwortung tragen. Leider führt das zu fast nichts.

Oder doch! Denn die Leute, die den Begriff in Umlauf bringen, tun das vor allem, um eine Zeitenwende möglichst lange aufzuhalten. Warum wohl? Weil es ihnen soeben recht gut geht und sie Macht und Mittel haben, sich darum zu kümmern. Aus ihrer Perspektive ist das gut verständlich, zumindest menschlich. Der stets überwiegenden Mehrheit, der es nicht so gut geht, hilft das nicht. Der von den Wohlständigen ungeteilte Wunsch, wir alle könnten an deren Umtrieben partizipieren, ist leider eine Illusion. Tatsächlich sind sie daran interessiert, dass möglichst lange sich möglichst wenig ändert. Sie wollen keine Zeitenwende, sondern eine Zeitenbleibe.

Je länger das gelingt, je länger bleibt, was ist und wir glauben und hoffen und vieles dafür tun, desto schwieriger wird unser aller Hinterbleiben in der Zeit.

2 Gedanken zu „Zeitenbleibe

  1. Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

    Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus

    Quelle: Lichtenberg, Sudelbuch K, 1793-1796. [K 293]

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