von mir

WERDEGANG

„Besdomny“ ist das Pseudonym eines jungen Moskauer Lyrikers, mit dem der 1891 in Kiew geborene russische und sowjetische Schriftsteller Michail Bulgakow seinen Roman „Der Meister und Margarita“ eröffnet. „Iwan Besdomny“ heißt übersetzt „Johannes Hauslos“. Hauslos war ich glücklicherweise nie, heimatlos von Anbeginn. Bis heute fühle ich mich an keinem Ort der Welt beheimatet, hin und wieder allerdings in Büchern, wie in eben dem epochalen Werk eines grandiosen Scheiterns von Bulgakow. Von 1928 bis 1940, das Jahr, in dem er auch starb, schrieb er daran. „Pjotr Besrodina“ hieße ich in seinem Roman an Iwan Besdomnys Stelle: „Peter Heimatlos“.

Mein Anbeginn lag in der verheerend zerbombten großen Stadt Dessau im Anhaltischen, das im Frühling 1949 noch zur Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gehörte. Dort fand meine Mutter mit ihren Eltern und einer Schwester von Schlesien her kurz vor dem Weltkriegsende Zuflucht. Ich war ein Zwischenfall nach ihrer kinderlos gescheiterten Kriegsehe und vor ihrem Mann für’s Leben, mit dem sie nach meinem ersten Geburtstag über die „Grüne Grenze“ nach Nordrhein-Westfalen floh. Mein Vater verband sich erneut in Dessau, wollte und sollte aber nichts weiter von mir wissen. Wie ich von ihm.

Die Verantwortung meiner Eltern übernahmen die Eltern meiner Mutter. Sie gaben mir all ihre Liebe und ein Zuhause, in dem ich niemanden vermisste. Nach der achten Klasse durfte ich die Erweiterte Oberschule „Philanthropinum“ mit Abiturstufe besuchen. Um anschließend Astronomie studieren zu dürfen, war ich nicht gut genug. Ich ließ mich zu einem Lehrerstudium überreden, verweigerte aber danach den Schuldienst. Mit Neunzehn fing ich an, Gedichte zu schreiben.

1972 bewarb ich mich erfolgreich für ein Studium am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Die Dozenten fanden eine spezielle Begabung für Essays heraus. Ich fand heraus, dass ich davon nicht würde leben können. In Leipzigs „Deutsche Bücherei“ las ich die ersten Veröffentlichungen des „Club of Rome“. Mit ihnen wuchs nach und nach aus meiner Heimatlosigkeit ein Gefühl für die Welt.

Nach dem Institut wurde ich Dramaturg am Landestheater Eisenach. Dorthin zog ich, inzwischen verheiratet, im Jahr 1980. Im Frühling 1989 kehrte ich mit Frau und Kind nach Leipzig zurück und erlebte kurz darauf den Zusammenbruch des Keine-Heimat-Landes DDR. Der Verlag, in dem ich als Lektor arbeitete, wurde im vereinigten Deutschland zügig abgewickelt.

Die Leipziger Umlandgemeinde Mölkau stellte mich als Amtsleiter ein und bot mir ein knappes Jahrzehnt lang sinnvolle Betätigung. Dann wurde der Ort ein Teil von Leipzig und ich landete auf einem belanglosen Bürostuhl. Auf dem Schreibtisch stand allerdings ein internetfähiger PC. Mit ihm reiste ich ausgiebig durch das World Wide Web, entdeckte, recherchierte, sammelte und schrieb endlich Essays und seit 2012 für diesen Blog.

PUBLIKATIONEN

„Fensterplatz mit Essayist“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2019, ISBN 978-3-96145-773-1

So sieht die Liebe eines Essayisten aus: zu einer Märchenfigur, zu einem Aussichtsort, zur Musik, zu einem Opernschluss. Vier Texte verknüpfen meinen Werdegang in einem Land, das 40 Jahre lang DDR hieß, nie eine Heimat für mich war, doch immer ein Zuhause. Die Welt will ich nicht erklären, aber anderen mein Weltbild zeigen. Vielleicht trägt es zum besseren Verstehen und Umgang miteinander bei.

 

„Der Club of Rome und meine Liebe zur sphärischen Geometrie“, biografischer Essay, AT Edition, Münster 2018, ISBN 978-3-89781-263-5

1968 Jahren gründete sich der Club of Rome. Seine Hinweise hat die Menschheit bislang nicht sonderlich interessiert. Seit 1975 beobachte ich, wie wir mit unserer Lebensweise Grenzen überschreiten, die verhindern, dass wir uns und unsere Lebensgrundlagen überfordern.

 

„Hauptsache Fußball“, biografischer Essay, AT Edition, Münster 2016, ISBN 978-3-89781-250-5

Fußball ist für mich viel mehr als die “schönste Nebensache der Welt”. Einerseits bildet dieses Ballspiel Strukturen ab, in denen wir leben. Andererseits bringt es, wird es gut gespielt, jenes „gemeinsame Individuum“ hervor, das Jean Paul Sartre in seinem Werk „Kritik der dialektischen Vernunft“ als ein Potential entdeckt, das wir nutzen können – oder in der egozentrischen Gesellschaft enden, in der wir uns, wachsend und konkurrierend, um die Zukunft bringen.

„der tatbestand gottes“, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2003, ISBN 3-937101-02-0

Nicht allzu oft bin ich in einer Weise gestimmt, in der sich, wenn ich dann Gefühls- und Lebenslagen beschreibe, Gedichte ergeben. 60 davon, ein Ertrag aus 30 Jahren, habe ich hier versammelt.

 

 

„Niemandes Ort – Mit Lyrik durchs Jahr“, eine Anthologie, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2016, ISBN 978-3-95632-400-0

Thema der Sammlung ist der vertiefte Blick auf das Leben in seinem Werden und Vergehen. Ganz gleich, auf welche Weise wir unser Leben erfahren oder aus welchem Blickwinkel heraus wir es betrachten, es ist die Neugier, die uns treibt, das Abenteuer, das uns lockt. Dazu trage ich mit acht Gedichten als einer von elf Autorinnen und Autoren bei.

 

„Hab ich dir heute schon gesagt … – Geschichten für Mütter“, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-7466-2125-9

„Ob in guten oder schlechten Stunden: Ob Mutter ihre Kinder ängstlich umhegt oder ihnen viel Freiraum lässt, ob sie streng oder nachsichtig ist – sie wird’s schon richten, wenn es kompliziert wird“, heißt es im Klappentext dieser Anthologie. Sie erzählt Geschichten zum Beispiel von Theodor Storm, Hans Fallada, Boris Pilnjak, Alphonse Daudet, Joy Fielding. Auch meine Muttergeschichte ist dabei.