Gilles Deleuze

In den Jahren 1988/89 führte die Journalistin Claire Parnet, die in den 1970er Jahren bei Gilles Deleuze (1925-1995) studierte, ein sehr langes Gespräch mit dem Philosophen. Daraus entstand 1995 der Film „Abécédaire“, der im Fernsehen lief. Im Booklet zu einer parallelen Videoveröffentlichung nennt sich Parnet „eine Freundin von Gilles“, um hinzuzufügen, „dass man befreundet sein kann, ohne sich allzu nahe zu stehen“. Auch gefällt ihr „Fürsprecherin“ besser „Freundin“. Das Wort „Beziehung“ – ob in diesem Zusammenhang oder an sich, ist unklar – für ein „grauenhaftes“.

Von Deleuze über Deleuze steht im Booklet: „Besondere Kennzeichen: wenig gereist, nie der Kommunistischen Partei beigetreten, nie Phänomenologe oder Heideggerianer gewesen, nie Marx abgeschworen, nie Mai ’68 verworfen“. Die Erfindung der Philosophie erklärt er sehr originell aus der geopolitischen Lage des antiken Griechenland. Das „griechische Wunder“ habe stattgefunden, weil die Griechen im Verhältnis zur Weisheit der sie umgebenden Völker die Position von Nicht-Weisen einnahmen. Mit feiner Ironie nannten sie sich Philosophen: Freunde der Weisheit.

„Ein Philosoph macht denkbar, was nicht denkbar ist, so wie Maler nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern etwas sichtbar machen, was bis dahin nicht gesehen wurde. Und während der Maler Farben und Striche zu Bildern komponiert, muss der Philosoph in seiner Arbeit Begriffe erfinden.“

Beispiel für diese Arbeit soll der Begriff des ‚Linken‘ sein. In einem ersten Schritt befreit ihn Deleuze aus seiner politischen Fixierung, die sich aus der Sitzordnung der Delegierten während der französischen Nationalversammlung zwischen 1789 und 1791 erklärt. Dort war dem Adel der Sitz rechts vom Parlamentspräsidenten vorbehalten, der als ehrenvoller galt. Das Bürgertum hatte sich mit der linken Seite abzufinden.

Im zweiten Schritt öffnet Deleuze dem ‚linken Denken‘ eine neue Perspektive. Er sieht darin „die Umkehr der Wahrnehmung von der Welt, von der Erde, vom Globalen immer weiter herab zu sich. Es bedeutet zu wissen, dass alle Welt Minderheit ist und dass sich ebenda alle Phänomene des Werdens abspielen. Mehrheit ist ein leeres Maß“ und ergänzt: „Deshalb hatten auch alle Denker so ihren Zweifel, was die Demokratie angeht“. In einem Essay über das Rhizom aus den 1970er Jahren heißt es: „Welche Anmaßung des Staates, das verinnerlichte Bild der Weltordnung zu sein und den Menschen zu verwurzeln“.

Mit dem letzten Buchstaben des Alphabets, in seinem Namen der vorletzte, begründet Deleuze den Anfang allen Werdens: „Z ist das Zickzack, Z wie Verzweigung. Es ist vielleicht die allerste Bewegung, die die Erschaffung der Welt eingeleitet hat. Die Physik beschreibt das Phänomen der Dunkelentladung zwischen zwei Potenzialen, ein dunkler Vorbote, mit dem, als er sich abzeichnet, die beiden Potenziale in einen Zustand der Reaktion kommen. Zwischen ihnen blitzt es auf, das Z. So erwacht die Welt.“